Dr. Axel Hilller - Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Frankfurt am Main
Arbeitsrecht A-Z

Verhaltensbedingte Kündigung

Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG können verhaltensbedingte Gründe die Kündigung sozial rechtfertigen, insbesondere schuldhafte Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers (Vorsatz oder Fahrlässigkeit).

Voraussetzung ist ein objektiver Kündigungsgrund.

Grundsätzlich erfordert eine verhaltensbedingte Kündigung eine vorherige Abmahnung. Entbehrlich ist die Abmahnung, wenn sie kein geeignetes Mittel ist oder zur Begründung einer Negativprognose für die weitere Vertragsbeziehung nicht erforderlich ist.

Ungeeignet und damit entbehrlich ist eine Abmahnung, wenn eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers objektiv nicht möglich ist oder nicht erwartet werden kann.

Schwere Pflichtverletzungen eines Arbeitnehmers in einer Vertrauensposition können eine Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigen.

Auch bei kleineren Straftaten im Arbeitsverhältnis ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich eine Abmahnung entbehrlich, es sei denn, die Tat lässt eine klare Negativprognose nicht zu.

Entbehrlich ist eine Abmahnung nach der Rechtsprechung z.B. in folgenden Fällen:

  • Verstoß gegen Alkoholverbot,
  • Vorsätzliche Missachtung von Arbeitsschutzvorschriften,
  • hartnäckige und uneinsichtige Arbeitsverweigerung bzw. Pflichtverletzung,
  • eigenmächtiger Urlaubsantritt,
  • schwere Beleidigung,
  • sexuelle Belästigung,
  • Missbrauch von Zeiterfassungseinrichtungen,
  • Speichern pornographischer Dateien auf Dienst-PC,
  • Missbrauch von Daten und Passwörtern,
  • Löschung wichtiger Kundendaten,
  • Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit,
  • Straftaten im Arbeitsverhältnis, z.B. Betrug, Unterschlagung, Diebstahl,
  • Androhung künftiger Erkrankung,
  • existenzgefährdende Zuwiderhandlung gegen Interessen des Arbeitgebers,
  • geschäftsschädigendes Verhalten,
  • leichtfertige Erstattung wahrheitswidriger Anzeige gegen Arbeitgeber,
  • mehrfache grobfahrlässige Pflichtverletzung mit erheblicher Schadensfolge,
  • Verstoß gegen Wettbewerbsverbote,
  • Schmiergeld- und Vorteilsannahme.

Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung ist ferner die Negativprognose, d.h. es besteht Wiederholungsgefahr oder das vergangene Ereignis hat künftige Folgewirkungen, wegen derer eine gedeihliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist.

Insbesondere die Schwere der Pflichtverletzung kann die vertrauensvolle Fortführung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft ausgeschlossen erscheinen lassen.

Die Art und Weise einer Vertragspflichtverletzung kann auf das Risiko weiterer Verletzungen schließen lassen (Wiederholungsgefahr).

Die verhaltensbedingte Kündigung setzt ferner voraus, dass dem Arbeitgeber zur Verfolgung seiner berechtigten betrieblichen oder vertraglichen Interessen kein anderes milderes Mittel mehr zur Verfügung steht.

Schließlich ist eine Interessenabwägung erforderlich.

Kriterien für die Interessenabwägung sind arbeitsvertragliche und sachverhaltsbezogene Umstände, unter anderem das Gewicht bzw. die Intensität der Vertragspflichtverletzung, Störung des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens, Behinderungen und Krankheiten des Arbeitnehmers, wenn sie mit dem Vertragsverstoß in Zusammenhang stehen, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, insbesondere die Dauer der fehlerfreien Vertragsbeziehung.

Wenn der Arbeitgeber die Gründe bereits längerer Zeit kannte, so verlieren sie bei der Interessen- abwägung an Gewicht.

Der Arbeitgeber trägt im Prozess die volle Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsgrund.

Anzeige des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 10. Auflage 2010, § 22, Rn. 632 ff.).

Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 2001 kann es dem Arbeitnehmer nicht zum Nachteil gereichen, wenn der Arbeitnehmer seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt (hier: Zeugenaussage bei der Staatsanwaltschaft). Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist es unvereinbar, wenn eine Aussage in einem Ermittlungsverfahren zu zivilrechtlichen Nachteilen für den Zeugen führe, wenn er nicht wissentlich unwahre oder leichtfertige falsche Angaben macht (BVerfG NZA 2001,888 ff.).

Das verfassungsrechtlich geschützte Verhalten des Arbeitnehmers ist auch bei Anzeigen bei der Entscheidung der Arbeitsgerichte zu berücksichtigen (BVerfG, a.a.O.).

Das LAG Frankfurt am Main hält eine Kündigung wegen einer Anzeige gegen einen objektiv rechtmäßig handelnden Arbeitgeber nur dann für gerechtfertigt, wenn völlig haltlose und unfundierte Vorwürfe in verwerflicher Motivation erhoben werden (Urteil vom 12.02.1987, DB 1987, 1696).

Wo objektiv schutzunwürdige Verhaltensweise in Rede stehen, existiert zu Gunsten des Arbeitgebers kein Vertrauenstatbestand, so dass in der berechtigten Anzeige jedenfalls kein Vertrauensbruch erblickt werden kann. Die zulässige Rechtsausübung kann Nachteile nicht rechtfertigen (§ 612a BGB). Eine entsprechende Wertung lässt sich § 9 ArbSchG entnehmen. Verfolgt der Arbeitnehmer schutzwürdige Interessen, die anders nicht gewahrt werden können, ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt (LAG Köln 23.02.1996, NZA-RR 1996, 330).

Das Anzeigerecht darf nur zur Wahrnehmung berechtigter Interessen und nicht seinerseits missbräuchlich ausgeübt werden (BAG 04.07.1991 RzK I 6a Nr. 74).

Aus der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht lässt sich ableiten, dass eine Anzeige des Arbeitnehmers keine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten sein darf (BAG NZA 2004, 427).

Insoweit steht die an sich berechtigte Anzeige unter einem Missbrauchsvorbehalt. Die Anzeigeerstattung, um den Arbeitgeber zielgerichtet zu schädigen, kann die Kündigung rechtfertigen (LAG Bremen 17.07.2003 NZA-RR 2004, 128).

Schutzwürdige Interessen werden nicht verfolgt, wenn die Anzeige aus niedrigen Beweggründen erfolgt (Zerstörung wirtschaftlicher Existenz wegen zerrütteter privater Beziehung (BAG 04.07.1993, a.a.O.).

Welche Stellung der Arbeitnehmer in dem Unternehmen einnimmt, ist unerheblich.

Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf gesetzwidriges Verhalten vor einer Anzeigeerstattung hinweisen. Insoweit ist eine Interessenwahrungspflicht des Arbeitnehmers anzuerkennen, schon um möglichen Schaden abzuwenden.

Gerechtfertigt ist die Anzeige jedenfalls dann, wenn der Versuch, innerbetriebliche Abhilfe zu schaffen, erfolglos geblieben ist.

Hat der Arbeitnehmer versucht, den Arbeitgeber zu veranlassen, den rechtswidrigen Zustand abzustellen, so dürfen ihnen keine Nachteile entstehen, wenn er sich an die zuständige Behörde wendet (z.B. wegen Verletzung von Arbeitsschutz- und Verkehrssicherungsvorschriften.

Wenn der Arbeitgeber Kenntnis von den Missständen hat und nicht unverzüglich für Abhilfe sorgt, besitzt er kein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung dieser Umstände durch die Arbeitnehmer.

Der Vorrang innerbetriebliche Abhilfe ist zu verneinen, wenn dem Arbeitgeber die Gesetzwidrigkeit bekannt ist, von ihm gebilligt wurde, die Beseitigung objektiv unmöglich ist oder vom Arbeitgeber nicht erwartet werden kann (LAG Baden-Württemberg 03.02.1987 NZA 1987, 756).

Bei Straftaten, die sich gegen den Arbeitnehmer selbst richten, kann die Anzeige niemals arbeitsvertraglich unzulässig sein.

Eine vorherige innerbetriebliche Meldung und Klärung ist dem Arbeitnehmer auch unzumutbar, wenn er Kenntnis von Straftaten erhält, durch deren Nichtanzeige der sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde. Entsprechendes gilt auch bei schwerwiegenden Straftaten oder vom Arbeitgeber selbst begangenen Straftaten (BAG 03.07.2003 NZA 2004, 427).

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