Dr. Axel Hilller - Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Frankfurt am Main
Arbeitsrecht A-Z

Schwerbehindertenschutz

Bei jeder Einstellung ist der Arbeitgeber grundsätzlich dazu verpflichtet, zu prüfen, ob freier Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können, § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX.

Diese Pflicht des Arbeitgebers gilt für alle Arten von Stellenbesetzungen, auch für innerbetriebliche Versetzungen oder Umsetzungen.

Über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber die Schwerbehinderten Vertretung und die in § 90 SGB III genannten Vertretungen (z. B. Betriebsrat, Personalrat) unmittelbar nach Eingang zu unterrichten, § 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX. Bei der Prüfung nach S. 1 beteiligen die Arbeitgeber die Schwerbehinderten Vertretung nach § 95 Abs. 2 SGB IX und hören die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen an, § 81 Abs. 1 S. 6 SGB IX. Während Betriebs- oder Personalrat nur anzuhören sind, was sich auf Unterrichtung und Entgegennahme einer eventuellen Stellungnahme beschränkt, ist die Beteiligung der Schwerbehinderten Vertretung weitgehender, wie sich aus dem Verweis auf § 95 Abs. 2 SGB IX ergibt. Danach setzt die Beteiligung nach § 95 Abs. 2 SGB IX die unverzügliche und umfassende Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehinderten Vertretung voraus und zusätzlich noch die Begründung der getroffenen Entscheidung.

Die Beteiligung der Schwerbehinderten Vertretung bedeutet, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit deren Äußerungen erforderlich ist. Die bloße Einräumung einer Gelegenheit zur Stellungnahme genügt dazu nicht; die Stellungnahme muss auch inhaltlich Gehör finden (Schmidt, Schwerbehinderten-Arbeitsrecht, Seite 52, Randnummer 152).

Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehinderten Vertretung oder eine der in § 93 SGB IX genannten Vertretungen mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, ist die Entscheidung des Arbeitgebers unter Darlegung der Gründe mit ihnen zu erörtern. Dabei wird auch der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört, § 81 Abs. 1 S. 7, 8 SGB IX).
Alle Beteiligten sind vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten (§ 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX).

Die durch den Arbeitgeber vorzunehmende Prüfung nach § 81 Abs. 1 SGB IX erfolgt unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen des jeweiligen freien Arbeitsplatzes und der konkreten Voraussetzungen, die gegebenenfalls ein schwerbehinderter Bewerber mit sich bringt.

Alle Verstöße des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen nach § 81 Abs. 1 SGB IX lassen eine Benachteiligung wegen der Behinderung im Sinne von § 81 Abs. 2 SGB IX vermuten und können über die Regelungen über Entschädigung und Schadensersatz (§ 15 AGG iVm mit § 22 AGG zu Schadensersatzansprüchen des benachteiligten Arbeitnehmers führen. Insbesondere haben Arbeitgeber auf die Verpflichtungen § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX zu achten.

Arbeitgeber sind verpflichtet, einen schwerbehinderten Bewerber, der sich auf eine Stelle beworben hat, über die Gründe ihrer Entscheidung unverzüglich zu unterrichten.

Steht fest, dass der Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber gegenüber entgegen § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX keine Gründe für die Ablehnung der Bewerbung mitgeteilt hat, insbesondere nicht im Ablehnungsschreiben der Bewerbung, so ist dessen Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu vermuten (vgl. LAG Hessen 7.11.2005-7 Sa 473/05, NZA-RR 2006,157).

Das Fragerecht des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft ist streitig:

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird dem Arbeitgeber das Fragerecht nach einer Schwerbehinderung zugestanden; der Bewerber hat die Pflicht, darauf wahrheitsgemäß antworten; ihm steht diesbezüglich also ?kein Recht zur Lüge? zu, und zwar auch dann nicht, wenn die Behinderung für die auszuübende Tätigkeit unerheblich ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. BAG vom 18.12.2000, NZA 2001,315).

Die vorherrschende Meinung in der Literatur und ein Teil der Rechtsprechung geht dagegen davon aus, dass die Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung grundsätzlich als unzulässig anzusehen ist und infolgedessen vom Bewerber auch nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden muss. Insbesondere steht dem Arbeitgeber auch kein Anfechtungsrecht gemäß § 123 BGB zu, falls der Bewerber eine Schwerbehinderung auf entsprechende Nachfrage nicht offenbart (vgl. Schmidt, Schwerbehindertenarbeitsrecht, 1. Auflage 2009, Seite 46, mit weiteren Nachweisen; LAG Hamm vom 19.10.2006 - 15 Sa 740/06, nicht veröffentlicht).

Der schwerbehinderte Mensch hat Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung (§ 81 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB IX), Urteil des BAG vom 10.5.2005, 9 AZR 230/04:
Der schwerbehinderte Mensch hat Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung (§ 81 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB IX). Zur Begründung dieses Anspruchs hat er regelmäßig bereits dann schlüssig vorgetragen, wenn er Beschäftigungsmöglichkeiten aufzeigt, die seinem infolge der Behinderung eingeschränkten Leistungsvermögen und seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechen. Der Arbeitgeber hat sich hierauf substantiiert einzulassen und die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass solche behinderungsgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten nicht bestehen oder deren Zuweisung ihm unzumutbar ist. Hierzu gehört auch die Darlegung, dass kein entsprechender freier Arbeitsplatz vorhanden ist und auch nicht durch Versetzung freigemacht werden kann. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer der Nachweis, dass entgegen der Behauptung des Arbeitgebers ein freier Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder vom Arbeitgeber frei gemacht werden kann. Eine Unzumutbarkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber sowohl darzulegen als auch zu beweisen.
1. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX in der seit dem 1. Juli 2001 geltenden Fassung - wortgleich mit § 14 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (SchwbG) idF vom 1. August 1986 und mit § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 idF des am 1. Oktober 2000 in Kraft getretenen Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter (SchwbBAG, BGBl. I 2000 S. 1394) - haben schwerbehinderte Menschen gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Der Arbeitgeber erfüllt diesen Anspruch regelmäßig, wenn er dem Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zuweist. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 81 ff. SGB IX nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann dann vielmehr Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung (Senat 28. April 1998 - 9 AZR 348/97 - AP SchwbG 1986 § 14 Nr. 2 = EzA SchwbG § 14 Nr. 5). Dabei ist er nicht verpflichtet, den Arbeitgeber vorab auf Zustimmung zur Vertragsänderung zu verklagen. Der besondere Beschäftigungsanspruch entsteht unmittelbar kraft Gesetzes und kann daher ohne vorherige Vertragsänderung geltend gemacht werden (vgl. zum Verringerungsanspruch nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX Senat 14. Oktober 2003 - 9 AZR 100/03 - BAGE 108, 77). Ist zu der von einem schwerbehinderten Menschen beantragten Beschäftigung die Zustimmung der Betriebsvertretung erforderlich, so kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, deren Zustimmung einzuholen (vgl. Senat 3. Dezember 2002 - 9 AZR 481/01 - BAGE 104, 45).

Dem Arbeitnehmer wird damit gesetzlich kein absoluter Anspruch auf Beschäftigung eingeräumt. Der Anspruch beschränkt sich vielmehr auf solche Tätigkeiten, für die er nach seinen Fähigkeiten und Kenntnissen unter Berücksichtigung seiner Behinderung befähigt ist. Kommt eine solche anderweitige Beschäftigung in Betracht, ist der Arbeitgeber gleichwohl dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar ist, wie nunmehr in § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX (wortgleich mit § 14 Abs. 3 Satz 3 SchwbG idF ab 1. Oktober 2000) ausdrücklich bestimmt ist. Er ist nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (vgl. Senat 28. April 1998 - 9 AZR 348/97 - AP SchwbG 1986 § 14 Nr. 2 = EzA SchwbG § 14 Nr. 5).

2. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist dann schlüssig, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, die geltend gemachte Rechtsfolge zu rechtfertigen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nur erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind. Das Gericht muss lediglich in die Lage versetzt werden, auf Grund des tatsächlichen Vorbringens zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs vorliegen (vgl. BAG 20. November 2003 - 8 AZR 580/02 - NZA 2004, 489

Macht der schwerbehinderte Arbeitnehmer den schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX geltend, so hat er nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Dagegen hat der Arbeitgeber die anspruchshindernden Umstände vorzutragen. Dazu gehören insbesondere diejenigen, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers ergeben soll. Im Übrigen gilt hier eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast.

aa) Diese Verteilung ergibt sich aus dem materiellen Recht. Ziel des geltenden Schwerbehindertenrechts ist die ?Teilhabe schwerbehinderter Menschen? entsprechend der Langtextfassung des zum 30. Juni 2001 abgelösten Schwerbehindertengesetzes durch ?Eingliederung ... in Arbeit, Beruf und Gesellschaft?. In diese Aufgabe war bereits unter der Geltung des SchwbG der Arbeitgeber einbezogen. Das verdeutlichte seine Verpflichtung ?zur Eingliederung Schwerbehinderter in den Betrieben ... zusammenzuarbeiten? (§ 29 Abs. 1 SchwbG). Diese Verpflichtung ist wortgleich in § 99 Abs. 1 SGB IX übernommen worden. Sobald bei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses Schwierigkeiten auftreten, hat der Arbeitgeber unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des zuständigen Integrationsamtes, das die Aufgaben der früheren sog. Hauptfürsorgestelle wahrnimmt, nach Lösungen zu suchen, die diese Schwierigkeiten beseitigen. Diese Pflicht ist zwar erst mit Wirkung zum 1. Oktober 2000 durch das SchwbBAG ausdrücklich normiert (§ 14c SchwbG = § 84 Abs. 1 SGB IX). Die dort dem Arbeitgeber zugewiesene aktive Rolle für Eingliederung und gegen Ausgliederung war aber schon im früheren Recht anerkannt (vgl. BAG 10. Juli 1991 - 5 AZR 383/90 - BAGE 68, 141). Nach der ständigen Rechtsprechung waren § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG und die Vorgängervorschrift § 12 SchwBeschG nicht nur Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen konnten, sondern begründeten ?auch und vor allem eine privatrechtlich gesteigerte Fürsorgepflicht gegenüber dem Schwerbehinderten? (vgl. BAG 10. Juli 1991 - 5 AZR 383/90 - aaO mwN).

bb) Hat sich der Arbeitgeber nach der gesetzlichen Konzeption des Schwerbehindertenrechts daher um eine behinderungsgerechte Beschäftigung des Arbeitnehmers zu bemühen, so ergibt sich daraus zugleich, dass er den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch nicht mit der bloßen Behauptung abwehren kann, er verfüge über keinen geeigneten Arbeitsplatz.

Die gebotene sachliche Auseinandersetzung mit dem Verlangen des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung erfordert eine substantiierte Darlegung des Arbeitgebers, aus welchen Gründen die vom Arbeitnehmer vorgeschlagenen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Welche Einzelheiten vom Arbeitgeber vorzutragen sind, bestimmt sich nach den Umständen des Streitfalles unter Berücksichtigung der Darlegungen des klagenden Arbeitnehmers. Als Einwände kommen in Betracht, dass entsprechende Tätigkeitsbereiche überhaupt nicht vorhanden seien, keine Arbeitsplätze frei seien und auch nicht frei gemacht werden könnten, der Arbeitnehmer das Anforderungsprofil nicht erfülle oder die Beschäftigung aus anderen Gründen unzumutbar sei. Diese Substantiierungslast entspricht der Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 und 2 ZPO. Danach wird dem Gegner der primär behauptungsbelasteten Partei eine sekundäre Behauptungslast auferlegt, wenn die darlegungspflichtige Partei keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH 3. Mai 2002 - V ZR 115/01 - NJW-RR 2002, 1280; BAG 20. November 2003 - 8 AZR 580/02 - NZA 2004, 489) . So ist es hier.

Nur der Arbeitgeber hat einen umfassenden Überblick über die betrieblich eingerichteten Arbeitsplätze und die dort zu erfüllenden Anforderungen. Er weiß, welche Arbeitsplätze für welche Zeiträume besetzt sind, ob Arbeitsaufgaben sinnvoll anders verteilt werden können oder ob Arbeitsplätze in absehbarer Zeit frei werden, etwa infolge Erreichens des Rentenalters oder durch Versetzung freigemacht werden können. Einen solchen Einblick hat der Arbeitnehmer regelmäßig nicht. Das gilt insbesondere für einen Arbeitnehmer, der wie hier schon längere Zeit infolge Krankheit arbeitsunfähig und daher nicht mehr im Betrieb anwesend ist.

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